Seit langem hat Canon ein "Lupenobjektiv" für seine EOS-Modelle im Programm. Man findet allerdings wenig Informationen darüber, wie es funktioniert und was es genau kann. Ich bin auf der Suche nach einem Objektiv für Makros darauf gestoßen und mein freundlicher Fotohändler hat es mir über's Wochenende geliehen - so entstand dieser Bericht.
Das Lupenobjektiv schließt sich mit einem Vergrößerungsmaßstab von 1:1 bis 5:1 nahtlos an andere Makroobjektive an, die bis zum Maßstab 1:1 angeboten werden.
Es wird mit einer variablen Vergrößerung von 1× bis 5× angegeben, dies bedeutet aber nicht, dass es ein Zoom-Objektiv ist. Mit dem Vergrößerungsring stellt man lediglich die Entfernung zwischen Sensor/Film und Frontlinse ein und damit den Vergrößerungsfaktor. Die Arbeistweise ist also mehr mit einem Balgengerät vergleichbar. Dazu besitzt das MP-E eine rein elektronisch gesteuerte Blende, die über die Kamera zwischen 2,8 und 16 vorgewählt werden kann.
Fokussierung: Um das Objekt scharf zustellen, bewegt man die Kamera so lange hin und her, bis im Sucher die Abbildung scharf erscheint, d.h. den von normalen Objektiven bekannten Fokussierring gibt es nicht. Eine genaue Fokussierung erreicht man in der Praxis auf verschiedene Arten:
Ein Reprotisch mit Bodenplatte, solider Mechanik und Beleuchtung ist sicher die beste Möglichkeit, Schärfe und Ausleuchtung optimal zu gestalten.
Ein Makroschlitten unter der Objektivschelle macht nur dann Freude, wenn das Exemplar robust ist und der Spiegelschlag auch dann nicht zum Verreißen führt, wenn für die Aufnahmen ein großer Vergrößerungsmaßstab gewählt wurde.
Es geht auch ganz einfach, da sich mit der Änderung der Vergrößerung auch die Schärfeebene verschiebt. Dazu wird entweder das Objekt oder das Kamerastativ verschoben, bis eine grobe Scharfstellung erreichen ist. Mit einer geringen Veränderung der Vergrößerung lässt sich dann die Schärfe fein nachjustieren.
Während man mit normalen Makroobjektiven auch Objekte in unendlicher Entfernung fokussieren kann, ist beim MP-E nur im Bereich bis 31,3 cm (Abstand Sensor-Objekt) möglich, ein Verhalten, dass für Normalobjektiv-Benutzer vermutlich ungewöhnlich erscheint, aber so von einem Mikroskop bekannt ist.
Auch wenn der Tubus im Durchmesser vom Canon-Bajonett bestimmt wird, beträgt der Durchmesser des sichtbaren Teils der Frontlinse nur etwa 19 mm. Bei Vergrößerungen oberhalb von 3× macht sich deutlich der Lichtverlust (durch die Auszugsverlängerung) des Objektivs bemerkbar. Zusätzlich ist das Objekt so nahe vor dem Objektiv, dass immer weniger Licht aus der Blickrichtung des Objektivs auf das fokussierte Objekt trifft.
Mit seinem Vergrößerungsfaktor von 1×…5× steht das MP-E zwischen normalen Makroobjektiven mit den üblichen Komfortfunktionen (Autofokus, Belichtungsautomatik) und Abbildungsmaßstäben von bis zu 1:1 einerseits und Mikroskopen andererseits.
Um mit dem MP-E gute Ergebnisse zu erzielen, sollten -vor allem bei häufigem Gebrauch- einige Punkte berücksichtigt werden, um schnell zu guten Bildern zu kommen:
Ein stabiler Unterbau, um Bilder zügig und verwacklungssicher aufzunehmen.
Eine Beleuchtung wie z.B. ein einfache Ringleuchte leistet bis zur 3× Vergrößerung gute Dienste.
Bei 5× Vergrößerung bleiben allerdings nur 4 cm Abstand zwischen Objekt und Frontlinse, da wird
jede Art der Lichtführung schwierig.
Ein Ringblitz bietet den Vorteil, dass man die Belichtungszeit immer bis auf die Blitzsynchronzeit
reduzieren kann, also je nach Canon-Modell 1/200 s oder 1/250 s.
Wichtig: Auch das Einstellicht sollte wegen des Lichtverlustes bei großen
Abbildungsmaßstäben (Auszugsverlängerung) hell sein!
LiveView ist eine gute Hilfe, um die Schärfe des manuellen Objektivs gut genug beurteilen und einstellen
zu können. Alternativ kann man auch eine eine passende Mattscheibe besorgen (nicht für alle Canon-Kameras verfügbar).
Man kann zwar die Autofokuspunkte als Fokussierhilfe benutzen, aber Canon selbst rät davon ab.
Belichtungssteuerung durch M (von Canon empfohlen) oder Av.
Man sollte davon ausgehen, dass das Objekt mit Staub oder Fusseln behaftet ist, die mit bloßem Auge nur schwer zu erkennen sind, so dass das Objekt bei starken Vergrößerungen entsprechend vorbereitet werden muss.
Die direkte Anbindung der Kamera an den PC ist vorteilhaft, um auf Schärfeeindruck, Fusseln auf dem Objekt oder Staub auf dem Sensor zu prüfen.
Nach der von Canon im Handbuch angegebenen Tabelle ergibt sich bei der kleinsten Blende die größte Tiefenschärfe, da hat
Canon keine neue Physik erfunden. Das die Beugung bei größeren Blendenwerten die Schärfe eher reduziert, lässt sich aus den
Daten von Canon nicht schließen.
Eine Tabelle der Tiefenschärfe befindet sich bei den technischen Daten.
Bei digitalen Kameras ist weiterhin die Sauberkeit des Sensors zu berücksichtigen, da sich Staub auf dessen Oberfläche
bei Blende 16 besonders gut abzeichnet.
Mit zusätzlicher DFF-Software (Deep Focus Fusion) kann in der Nachbearbeitung der Schärfebereich aus mehreren Aufnahmen durch Zusammensetzen erweitert werden.
Was den Komfort betrifft, ist das Objektiv in einigen Punkten hinter dem Stand der hauseigenen Technik zurück:
Canon empfiehlt, die Belichtung mit einem Handbelichtungsmesser und einer Formel für die wirksame Öffnung = Blende × (Vergrößerung + 1) zu bestimmen. Wenn die Belichtungsautomatik verwendet wird, soll ebenfalls eine Korrektur der Blendenwerte vorgegeben werden, die bei 1× Vergrößerung etwa +2 Blendenstufen und bei 5× Vergrößerung etwa +5 Blendenwerte beträgt.
Ausnahme sind die 1er Modelle von Canon, die
laut Handbuch dank TTL die Korrektur automatisch berücksichtigen. Das Handbuch ist bei den Mark III Versionen der 1D/1Ds
stehen geblieben (der Copyright-Hinweis ist sogar von 2002), ob und wie aktuelle Top-Modelle (5D, 7D) korrigieren,
ist unklar.
Schade, dass weder Objektiv noch Kamera diese kleine Rechenaufgabe immer selbst übernehmen. Wenn man nämlich
die Rückstellung der Werte an der Kamera vergisst, leiden die nächsten Bilder, die mit einem anderen Objektiv gemacht werden.
Im Bereich der "Makernotes" der EXIF-Daten wird unter dem Tagnamen "MacroMagnification" die gewählte Vergrößerung abgelegt. Mit Canons Programm 'Digital Photo Professional' (DPP) lässt sich der Wert so auslesen: In der Werkzeugpalette von DPP das Register 'Objektiv' wählen, dann die Schaltfläche 'Abstimmen' bei 'Objektivfehlerkorrektur'. Es erscheint ein neues Fenster und wo sonst über dem oberen Schieberegler das Wort 'Motivabstand' steht, wird beim MP-E65 'Vergrößerungsfaktor' mit Werten zwischen 5× und 1× angezeigt.
Bei mehr als 4× Vergrößerung ist das Objektiv so nahe vor dem Objekt, dass eine frontale Beleuchtung des Motivs (z.B. durch eine Ringleuchte) schwierig wird - die Abstände können in den technischen Daten nachgelesen werden. Schön wäre es, wenn Canon für dieses Problem wenigstens einen kegelig zulaufenden Tubus für die relativ kleine Fronntlinse oder eine Art Reflektor mit einem Loch (Ø der Frontlinse) für das Filtergewinde mitliefern würde, die auf der Außenseite zur Lichtführung weiß oder mattsilber beschichtet wäre. Damit könnte man die sonst schwarze Fläche um die Frontlinse herum als zusätzlichen Reflektor nutzen.
In EOS-Utility kann man in der Vignettierungs-Korrektur für das MP-E Objektivdaten in die Kamera laden, um optische Fehler schon in der Kamera zu korrigieren. Das bedeutet auch, dass Daten für die Korrektur der RAW-Dateien in DPP verfügbar sind. Die neuere und umfangreichere 'Digitale Objektivoptimierung' in DPP funktioniert zwar mit vielen Canon-Objektiven, das MP-E ist aber als Objektiv nicht mal auswählbar (Stand 05.2015 für 32-bit DPP).
Laut Canon Camera Museum wurde das Objektiv 09/99 vorgestellt. Damit wäre es Zeit für ein Überarbeitung.
Die oben beschriebenen Voraussetzungen zeigen, dass der Einsatzbereich des MP-E auf das Studio beschränkt ist.
Einem (technischen) Sachverständigen, der beispielsweise Schadenanalysen beweiskräftig dokumentieren muss, fällt die Entscheidung für das MP-E sicher leicht, da er es als weiteres Objektiv in seinen bestehenden digitalen Workflow einbeziehen kann. Ich denke da vor allem an den Unfallgutachter, der meist verbogenes Blech mit einem Normalobjektiv und gelegentlich eine Glühbirne und Verdampfungsspuren mit dem MP-E fotografiert.
Wer als Juwelier filigrane Preziosen ablichten möchte, ist mit dem MP-E ebenfalls bestens bedient. Da das MP-E auch die eventuell nicht ganz gelungenen Ecken eines Meisterstückes dokumentiert, sind Erfahrungen im Umgang mit einer elektronischen Bildverarbeitung empfehlenswert.
Weitere Anwendungsbereiche dürften sich beispielsweise in der Mineralogie oder bei Fossilien finden.
Wer mit Kameras im Studio arbeitet, der kann mit dem MP-E seinen Workflow unverändert beibehalten. Wer außerhalb eines Studios arbeiten möchte, dem wird das MP-E gegenüber den üblichen Makro-Objektiven mit Autofokus, Belichtungsautomatik und detaillierter Protokollierung in den EXIF-Daten umständlich finden.
Ohne Stativ wird Bildschärfe eher zufällig erreicht, weil das MP-E einerseits nur eine geringe Tiefenschärfe hat und
andererseits die Schärfe alleine vom Abstand abhängt, da der Fokusring fehlt. Wer vor- und zurückwackelt oder wenn der Wind
das Objekt bewegt, verschiebt sich die Schärfeebene deutlich sichtbar.
Da bei Blitzeinsatz wegen der Ladezeit meist keine Serien möglich sind, sollten viele Aufnahmen eingeplant werden.
Das MP-E ist ein Objektiv für Spezialisten. Von Schönwetterknipsern (wie ich), die aus der Hand oder höchstens mit einem Einbein fotografieren wollen, verlangt das Objektiv zu viel Aufmerksamkeit und Zeit für ein Bild, daneben sollten die Motive stillhalten.
Für Spezialisten und Makrofreunde mit entsprechender Geduld und Sorgfalt ist es dagegen eine gute Investition, zumal es für EOS-Nutzer die Möglichkeiten der Fotografie in einen Bereich erweitert, den andere Hersteller nicht einmal anbieten.
Aber eine kleine technische Überarbeitung hinsichtlich des Komforts dürfte Canon seinem MP-E schon gönnen.